Wertschätzung Bestand, Lage, Städtebau – Geschichte weiterschreiben
Das Bestandsgebäude der Architekten Robert Lang und Hans Löpfe von 1934, beispielhaft saniert von Herrmann Eppler und Luca Maraini 1988 (damals mit ihrem jungen Partner Manuel Schoop), stellt zweifellos einen wertvollen Zeitzeugen des Neuen Bauens dar.
Städte, Quartiere, Gebäude und auch Verkehrsträger wie die Bahn befinden sich in einem Wandlungsprozess, der auch Baudenkmäler betrifft. Mit der zunehmenden Bedeutung des öffentlichen Verkehrs ändert sich auch die Wertigkeit von Lagen und Orientierungen – so ist die «Hinterseite des Bahnhofs» heute nicht länger eine negative Beschreibung einer Lage, sondern die Nähe und Ausrichtung einer Liegenschaft zum Bahnhof zählt.
Es ist darum städtebaulich und nutzungsmässig nur folgerichtig, den heutigen niedrigen und etwas abweisenden Werkstatttrakt zum Bahnhof hin mit einem neuen Eingangsbereich aufzuwerten, sich mit einem mehrgeschossigen Aufbau in Geltung zu bringen und damit gleichzeitig einen Beitrag zur Verdichtung zu leisten.
Planerische Vorarbeit als Grundlage – Weiterentwicklung im Wettbewerbsprojekt
Wir schätzen die planerische Arbeit unserer Kollegen Schoop De Santis und ihren rücksichtsvollen Umgang mit dem Bestand sehr und haben - auch gemäss den Vorgaben des Wettbewerbsprogramms - diese als Leitfaden genommen. Es sind dies u.a. die Aufstockung in der Form eines dreigeschossigen, auskragenden Baukörpers samt Balkon zum Hof, die Länge des Aufbaus und die Lage der Tiefgarage. Wir nutzen aber auch die Gelegenheit des Wettbewerbs, um weitere Ideen und Vorschläge einzubringen. Diese betreffen insbesondere das Volumen, das noch etwas klarer, einfacher und «moderner» geschnitten ist, die zentrale Lage des Erschliessungskerns, so dass der Schwung der Fassaden nicht unterbrochen wird, und die Entflechtung der Hofeinfahrt vom neuen Eingangsbereich. Letzteres in Anbetracht des heutigen, sehr knapp geschnittenen Gehsteigs und Vorbereichs, sowie der Ausrichtung und Gestaltung der Fassaden.
Haltung bezüglich Bestandsgebäude und Erweiterung - Konzept
Die Erweiterung/Aufstockung soll die Sprache der Moderne sprechen und gleichwohl (auch) als neuer Gebäudeteil erkennbar sein.
- Das Bauvolumen nimmt die Rundung des Westtrakts und des Strassenverlaufs auf und damit auch eines der Lieblingsthemen der Moderne – die Stromlinienform.
- Die Fensteröffnungen beziehen sich auf die bestehende Tragstruktur des Trakts und betonen mit den liegenden Formaten und den durchlaufenden Brüstungen die Dynamik des Volumens.
- Aufbauend auf dem Achsmass des Baubestands von 3.90 Meter nehmen die Fensterteilungen das bewährte Büroachsmasse von 1.30 m auf. Zu Gunsten einer grösseren Flexibilität der Unterteilbarkeit der Büroflächen - und auch zu Gunsten eines feinen, spielerischen Rhythmuswechsels wird dieser Raster zusätzlich mit dem Achsmass von 5.20 überlagert, das sich mit Profilverbreiterungen abzeichnet.
- Die Materialisierung der Aufstockung bezieht sich auf die Stofflichkeit des Bestandsgebäudes aus Beton, mitsamt den Spuren der Zeit und der Sanierung.
- Jedoch handelt es sich um eine Leichtbauweise, die mit kleinformatigen, handelsüblichen Kunststeinplatten (d.h. aufgeschnittenen Betonplatten) verkleidet ist. Dabei werden nicht nur die Bestandteile des Betons (Kieskörner, Sand und Zement) sichtbar. Die Verlegeart mit vertikal gradlinig geschnittenen und zusätzlich horizontal gebrochenen Platten nimmt auch auf den Baubestand Bezug mit seiner feinen Äderung der Betonvorsatzschicht aus den 80er Jahren. Die Plattenteilung und die Fugen erreichen einen «Craquelé»-Effekt wie man ihn aus Porzellan-Techniken kennt bzw. auch aus der kunstvollen japanischen Reparaturmethode «Kintsugi».
Spaziergang durch den Erweiterungsbau – Anordnung der Nutzungen
Vom Bahnhof herkommend werden die Besucher und Mitarbeiterinnen vom neuen, hohen Eingangsbereich empfangen. Zur Cafeteria, die im Bestandsbau leicht erhöht auf dem Zwischengeschoss liegt und gleichzeitig auch zum Hauptgebäude hinüberführt gelangt man über das grosszügige neue Treppenhaus mit Lift. Eine Balkonschicht mit Wendeltreppe öffnet und verbindet diese flexibel nutzbare Pausenzone auch mit dem Innenhof. Der neue Treppenkern mit Lift führt hinauf zu den drei Bürogeschossen und ebenso hinunter zum Hofgeschoss und Untergeschoss und von dort weiter zur neuen Garage unter dem Hof.
Radfahrer und Automobilistinnen erreichen den Hof über die geneigte Durchfahrt. Auf der Hofebene befinden sich geschützte Veloabstellplätze gleich angrenzend an das Treppenhaus und dazu einzelne auch im Freien. Im Hof stehen in begrenzter Zahl Autoparkplätze zur Verfügung und neu auch ein Geschoss tiefer, unter dem Hof.
Büroflächen /Kern/ Unterteilbarkeit – Rundgang/Atmosphäre
Die drei neuen Bürogeschosse der Aufstockung lassen sich auf unterschiedliche Art und Weise nutzen:
- Je als zusammenhängendes Bürogeschoss oder auch als zwei unabhängige Einheiten.
- Innerhalb der Einheit eignen sich die Geschosse als Open-Space-Fläche aber ebenso lassen sie
ich in Einzelbüros unterteilen.
- Die Darstellung auf den Plänen zeigt Open-Space-Flächen, die durch Sitzungszimmer oder geschlossene Büros gegliedert werden können.
Die Atmosphäre in den Büroräumen ist geprägt von der guten Belichtung durch die liegenden Fenster, dem «fusswarmen», beigen Anhydrit-Boden, die hell lasierten Holzoberflächen, sowie den beigebraunen Deckenverputzen aus Lehm. (Gegebenfalls können im MAB die Wände zusätzlich mit Gips- oder Lehmplatten verkleidet werden.)
Auf den Geschossen ermöglicht die mittige Lage des Kerns die ungehinderte Verbindung der südlichen und nördlichen Flächen, aber auch deren Verbindung durch das Treppenhaus hindurch. Zentral beim Kern können die Pausenzonen mit Coffee-Corner, Kopier- und Druckergeräten, Garderoben und Toiletten frei angeordnet werden und sind dort nahe den Steigschächten.
Das geräumige Treppenhaus mit luftigem Treppenauge und Oberlicht aus Sichtbeton macht aber auch den Weg von Geschoss zu Geschoss zu einem willkommen kurzen Arbeitsunterbruch und einer räumlichen Abwechslung. Das Thema des Kunststeins (Beton-Steins) wird hier ebenfalls aufgenommen, denn die Bodenbeläge bestehen im Treppenhaus, im hohen Eingangsraum und in der Cafeteria aus Kunststeinplatten, die ebenfalls ein Craquelé Muster haben könnten – mediterran, günstig, pflegleicht und schmückend.
Tragwerk - Leichtbauweise
Bei der Erweiterung des denkmalgeschützte Werkstattflügels hängt der Umfang der statischen Massnahmen im Bestand direkt mit dem Gewicht der Aufstockung zusammen. Um diese Massnahmen zu minimieren, wurde für die Aufstockung einen Leichtbau aus Holz-Beton-Verbunddecken gewählt. Brettschichtträger aus Fichtenholz bxh=24cmx48cm reichen von Fassade zu Fassade und liegen entlang des Korridors zusätzlich auf einer Stützenreihe auf. Die Stützen sind ebenfalls aus Holz, 24cmx24cm. Das Achsmass der Holzträger nimmt den Raster des Bestandsgebäudes von 3.9m auf. Dazwischen spannt eine 12cm Betondecke. Diese wird mit 5cm vorfabrizierten Gitterträgerplatten gebildet, die mit einem 7cm Überbeton übergossen werden. Diese Platte wirkt im Verbund mit den Holzträgern. Sie dient als Schalung und reduziert dank der Vorfertigung die Bauzeit massiv. Die insgesamt nur 12cm Betonplatte ergänzt den Leichtbau gleichwohl mit Masse, die der thermischen Bauteilaktivierung dient. Über der Dachebene des Bestandsgebäudes nehmen neue oder ReUse- Stahlträger (HEA 700) die Lasten der darüberstehenden Holzstützen auf, und leiten sie auf neue Betonstützen entlang/innerhalb der bestehenden Fassade über. Auf diese Weise kann die eindrucksvolle Beton-Deckenkonstruktion im Zwischengeschoss des Werkstattgebäudes erhalten bleiben. Diese Stützen werden bis ins Untergeschoss durchgeführt, wo sie auf Mikropfählen fundiert werden.
Die Stahlträger in der Zwischendecke tragen des Weiteren auch den abgehängten neuen Balkon und der Hohlraum kann z.T. auch für Verkabelungen oder Leitungen genutzt werden. Mit dem neuen Erschliessungskern aus Beton werden die Wind- und Erdbebenkräfte aufgenommen. Die Stirnwände der Aufstockung werden zur Stabilisierung mit eingesetzt, so dass die Kräfte gleichmässig aufgenommen werden können.
Die neue Tiefgarage ist ein Ortbetonbau. Bei der Dimensionierung wurde darauf geachtet, dass trotz der Bodenlasten möglichst wenig Beton verbaut werden muss und nebenbei auch die Tiefe der Fundation im Anschluss an den Bestand minimiert wird, so dass eine Unterfangung vermieden werden kann.
Behaglichkeit - Heizung / Lüftung / Klima
Das energetische Konzept zielt sowohl auf einen ressourcenschonenden Umgang mit Baustoffen und Energieträgern, als auch auf Flexibilität und Kosteneffizienz, aber insbesondere auf die Behaglichkeit der Räume für die Nutzerinnen und Nutzer. Das Behaglichkeitskonzept des Neubauteils beruht auf folgenden drei Eckpfeilern:
- Die Gebäudehülle ist sehr gut gedämmt. Die Fassadenflächen/Fassadenschutzschichten sind luftdurchspült/hinterlüftet und der Fensteranteil beträgt weniger als 40 %. Mit Ausstellstoren wird der sommerliche Wärmeschutz nochmals optimiert - und gleichzeitig wird auch nochmals ein Bezug zum Bestandsgebäude geschaffen, das ebenfalls mit solchen textilen Ausstellstoren Sicht nach Aussen und gleichzeitig Sonnenschutz ermöglicht.
- Mit einer Fussbodenheizung (im Anhydrit Unterlagsboden) in Kombination mit den mit Lehm verputzten Betondecken steht genügend Speichermasse zur Verfügung und mit dem Lehmputz zusätzlich ein Material, das die Luftfeuchtigkeit ausgleicht.
- Die technischen Installationen sind flexibel und nachrüstbar.
Dank dem Zusammenspiel dieser Massnahmen kann der energetische und betriebliche Aufwand der Gebäudetechnik nachhaltig auf ein Minimum reduziert werden.
Die neuen Flächen werden über eine Fussbodenheizung beheizt, welche im Sommer ebenfalls zur Kühlung dient. Mittels sanft gekühlter Zuluft kann zudem zonenweise auf äussere Einflüsse reagiert werden. Die Luftverteilung der Zuluft erfolgt dazu an der Decke, während die Abluft an Schächten am Kern zentral gefasst wird.
Der Lehmputz an der Decke bietet die Eigenschaft, Feuchtigkeitsspitzen, bspw. bei schwülem Aussenklima, abzufedern und dadurch das Behaglichkeitsempfinden bei gleichbleibender Innentemperatur zu steigern.
Im Bestandsgebäude, dem ehemaligen Werkstattteil kann je nach künftigem Nutzungskonzept sowohl von den bestehenden Radiatoren als auch von einer Fussbodenbodenheizung (und -kühlung) ausgegangen werden – und ist auch abhängig davon, wie das Hofgeschoss künftig genutzt werden soll - als Werkstatt, als Ateliers oder als weitere Büroflächen.
Die Technikzentralen der Erweiterung sind im UG angeordnet, mit kurzen und direkten Wegen zu den vertikalen Schächten.
Die neue Einstellhalle kann über die Entrauchungsöffnungen natürlich be- und entlüftet werden. (evtl. Variante Deckensegel für Heizung und Kühlung: Anstelle der Bodenheizung/Kühlung ist auch eine etwas teurere und noch reaktionsschnellere Variante mit Deckensegeln zwischen den Holzträgern wählbar/realisierbar.)
Brandschutz
Durch die zentrale Lage des Kerns sind die Fluchtweglängen bis zum Kern in der Aufstockung kleiner als 22m. Das Fluchttreppenhaus wird über den Hof entfluchtet.
Barrierefreiheit
Das Gebäude wir sowohl auf dem Niveau der Güterstrasse, als auch vom tieferliegenden Hof (Niveau 0) aus barrierefrei erschlossen. Auch der Zugang zum Balkon und jener zur Dachterrasse ist schwellenlos. Behindertengerechte Toiletten sind auf allen Hauptgeschossen vorgesehen.
Ökonomie versus Ökologie?
Das Thema Ökologie ist vielschichtig und wird darum in mehreren Kapiteln angesprochen. Ergänzend werden folgende Massnahmen erwähnt, die zu einem möglichst nachhaltigen Gebäude führen werden hinsichtlich Erstellung, im Unterhalt und auch im Betrieb.
Robuste Materialisierung und langlebige Tragstruktur mit moderaten Spannweiten und damit einer minimalen Dimensionierung der Decken (mit nur 12cm Beton ingesamt), dazu mit zementarmem Beton.
Kompaktes Volumen, Anteil Fensteröffnungen kleiner 40%, sowie 3-fach Isolierverglasungen, Sommerlicher Sonnenschutz.
Heizung und Warmwasseraufbereitung mit Fernwärme, dazu Nutzung von Fernkälte.
Photovoltaikelemente auf dem Dach.
Schattenspendende Bäume, ein versickerungsfähiger Bodenbelag im Hof und Pflanzungen auf der Dachterrasse sowie eine extensive Begrünung der Dachfläche in Kombination mit den PV-Flächen (vgl. Aussenräume).
Interessanterweise sind Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit hinsichtlich vieler der oben genannten Massnahmen heute keine Gegensatzpaare mehr. Neben der erwähnten Kompaktheit, Flexibilität, Solidität, Langlebigkeit und einer sparsamen, leichten Tragstruktur mit moderaten Spannweiten, betrifft dies:
- Eine leichte, robuste Fassade, die im Schadensfall ausgebessert werden kann. Die lebendigen Farbnuancen des Kunststeins und das Craquelé-Fugenmuster verringern zudem die künftigen Unterhalts- und Reinigungskosten.
- Die Fensterreinigung kann dank öffenbaren Fenstern von innen erfolgen.
- Ein weiteres Einsparpotenzial, über das während der Planung entschieden werden kann, bildet allenfalls der Warenlift zwischen dem Untergeschoss und dem Zwischengeschoss.
Aussenräume – Ankunfts- und Aufenthaltsflächen
Eine kleine, aber sehr wichtige Aussenfläche bildet der neue Vorplatz unmittelbar vor dem neuen Eingangsbereich. Er konnte geschaffen werden, dank der leichten Verschiebung der Hofzufahrt und «bereitet nun den Boden» - einladend und sicher - für den Zugang zum Erweiterungsbau.
Die Hofdurchfahrt wurde ihrerseits etwas verbreitert, so dass neben der Fahrbahn nun auch ein schmaler Gehsteig Platz findet. Abends und an Wochenenden bildet ein automatisches Tor den Abschluss.
Der Hof selbst wird vom Werkhof und Parkplatz zu einem Ort mit Aufenthaltsqualität. Dabei kann der schöne Bodenbelag, die bestehende Steinpflästerung beibehalten/neu verlegt und der historische Zustand wieder hergestellt werden. Neue Baumpflanzungen spenden aber künftig Schatten im Hof. Steinkörbe aus Armierungseisen bilden Wurzelraum und Verankerung, ebenso wie ein Gegengewicht für die Bäume über der neuen Tiefgarage. Und da und dort, wo die Bäume im Erdreich wurzeln können, formen die Steinkörbe auch Sitzgelegenheiten. (Im Hof der Pflegerinnenschule in Zürich gedeihen Weidenbäume nunmehr seit 22 Jahren in solchen offenen und auch tierfreundlichen Körben.)
Die Wendeltreppe verbindet die Hofebene über die neue Balkonschicht mit der Cafeteria und zusätzlich auch mit dem neuen Treppenkern.
Die geschosshohe Stützmauer zur Nachbarparzelle soll in Kombination mit den Lüftungsschächten der neuen Tiefgarage künftig mit Kletterpflanzen, z.B. immergrünem Efeu oder Wein oder Knöterich begrünt werden und kann so ebenfalls einen Beitrag zur Biodiversität und zur Hitzeminderung in der Stadt leisten.
Schliesslich lässt sich eine Dachterrasse zwischen der Erweiterung und dem Hauptgebäude ein verbindender Aussenraum schaffen, der ebenfalls begrünt wäre. Partielle hügelartig erhabene Substrat-Beete mit Stauden und niedrigen Gehölzen umspielen und definieren zusammen mit einer geschwungenen Rampe den Aufenthaltsbereich in der Mitte. Dabei wird gleichzeitig ein barrierefreier Zugang geschaffen.
Umgang mit dem Baubestand des Hauptgebäudes - Ausblick/Vorgehensweise
Die Adaption des Hauptgebäudes war nicht Gegenstand des Wettbewerbs. Der Hauptbau verdient künftig eine kluge und sorgsame Abwägung zwischen Erhalt und Anpassung an neue, heutige Erfordernisse – wie ehedem von Eppler und Maraini. Zukünftige Ertüchtigungen z.B. hinsichtlich neuer Normen zu Erdbebensicherheit, Brandschutz, Dämmung, Bauakustik, Raumakustik etc. würden nach Vorliegen eines angepassten Raumprogramms und einer vertieften Analyse detailliert erarbeitet.